Dr. Ángel Repáraz
Germanist
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Madrid
Die politisch verordnete Aneignung des 'Erbes' in der DDR: kritische Bilanz einer Illusion in einem autoritären Staat
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Schon 1945, kurz nach der Kapitulation, war es Fernziel der sowjetischen Führung, in Deutschland ihr eigenes politisches System zu etablieren. Ausschliesslich so, dachte man, wäre es möglich, ein für allemal den deutschen 'Faschismus und Militarismus' zu vernichten. Folge dieses 'Exports' eines ganzen Systems war unvermeidlich die allmähliche Einführug der sowjetischen Strukturen, auch ins literarische Feld. Und wie stand es mit dem sogenannten menschlichen Faktor? Anna Seghers charakterisiert ihre Landleute 1947 auf folgende summarisch verheerende Weise: “Die meisten Menschen sind so dumpf, so verdummt, wie man sich das vorgestellt hat, manchmal eher schlimmer... Und die Angst und der Hunger machen sie noch deformierter, noch härter und schlechter... “1. Ungefähr so stand es um die Rahmenbedingungen.
Im April 1946 wurde die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gegründet; sie war damals eigentlich keine Kaderpartei, eher eine regelrechte Massenpartei (Mitte 1948 zählte sie fast zwei Millionen Mitglieder). Und im Oktober 1949 sah die DDR, der zweite deutsche Staat, das Licht der Welt. Um mit der Tür ins Haus zu fallen - die politische Legitimität des SED-Systems war immer brüchig, und zwar bis zu ihrem sang- und klanglosen Ende. Hans Mayer fand sehr passende Worte zum neuen Staat bezüglich seines Charakters einer sowjetischen Kolonie, für ihn war es “eine vorgeschobene strategische Bastion der sowjetischen Weltmachtpolitik”2. Selbstverständlich existieren ausführliche und fundierte Analysen der verzerrten ökonomische Grundlage des ganzen Systems, nicht zuletzt von DDR-Bürgern verfasste. So Havemann Mitte der 70er Jahre: “Was der DDR-Staat politisch darstellt, ist kein Sozialismus, sondern ein höchst perfektes staatsmonopolistisches System”3, dessen Gesellschaft “die engstirnige Bevormundung durch halbgebildete Amtsbanausen”4 erleben musste. Wie dem auch sei, schon bald entstanden grosse Unterschiede zwischen den drei westlichen Besatzungszonen einerseits mit der amerikanischen Hilfe des Marshallplans, und der östlichen andererseits mit sehr gravierenden Reparationszahlungen, die von den Russen gefordert wurden. Stalin aber wollte ein wiedervereinigtes, neutrales Deutschland, und noch 1956 empfand Huchel die Spaltung des Landes als “unsinnig”.
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Es war der 4. November 1989, das Ende rückte schleunigst heran. Was sich an jenem Novembertag auf dem Alexanderplatz abspielte, mag zweifelsohne auf viele wie eine Befreiung gewirkt haben. Vertreter der Bürgerrechtler nahmen das Wort, auch SED-Leute: Gregor Gysi, Markus Wolf, Jens Reich, Stefan Heym, Friedrich Schorlemmer, Heiner Müller, Christoph Hein, Lothar Bisky, Christa Wolf und andere. Christa Wolf sprach später über die Empörung, die sie auf die Tribüne getrieben hatte – Empörung über die damalige Massenflucht von DDR-Bürgern und über die Regierung. Und sie hatte dann Worte der Hoffnung, die jedoch auch Zweifel implizierten: “Also träumen wir mit hellwacher Vernunft: Stell Dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg! Wir sehen aber die Bilder der immer noch Weggehenden und fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun!”5. Christoph Hein ging es auch um “unser Land”, um die DDR also. Und Stefan Heym glaubte immer noch an einen möglichen Umschwung in Richtung 'Sozialismus'. Aber es war leider zu spät für Träumereien. Das ganze System hatte ausgedient.
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Hermann Kant 1978: “In diesem Lande ist Literatur ein Gebrauchsgegenstand, eine Ware des täglichen Bedarfs. […]. Sie ist ein Massengut, ein Massenprodukt und dennoch oft Mangelware”6. Dies alles setzt logischerweise voraus, dass eine derartige (eigene) Literatur überhaupt existiert und dass die Teilung Deutschlands im Laufe der Zeit auch eine literarische Teilung hervorgebracht hat. Tatsache ist allerdings auch, dass die künftige DDR, als sie noch sowjetische Besatzungszone war, schon bedeutende Schriftsteller vorweisen konnte. Ein paar Jahre später trat Becher als Minister für Kultur mit einer 'Programmerklärung zur Verteidigung der Einheit der deutschen Kultur' an die Öffentlichkeit. Und etwas, was oft vergesssen wird: wieder wurde die Forderung nach der deutschen Einheit zur Leitlinie des Programms, die Becher mit zehn Forderungen verband. Es war übrigens das letzte Mal, dass von der Staatsspitze eine solche Äusserung gemacht wurde.
Wir wissen, dass bis etwa 1957 “in der DDR [...] die nunmehr beginnende Literatur […] im wesentlichen eine Literatur der zurückgekehrten Emigranten [war]. Sie war eine importierte und oktroyierte Literatur”7. Die leitenden Posten waren für sie: Becher als Kulturminister, Seghers als Präsidentin des Schriftstellerverbands, und Brecht hatte sein Theater am Schiffbauerdamm. Und diese aufoktroyierte Literatur war, das muss man sagen, weitgehend die der Privilegierten. Bestimmend waren nicht unbedingt literarische oder inhaltliche Textqualitäten, sondern die offiziellen Kontrollinstanzen, und meiner Meinung nach signalisiert eben das die spezifische Wirklichkeit einer anderen Literatur. Andererseits waren aber die beiden 'deutschen Literaturen' ab den siebziger Jahren thematisch auch wieder nicht so verschieden8. Und trotzdem – wiederholt ist auf den unterschiedlichen sozialen Stellenwert der Literatur in diesen zwei Staaten hingewiesen worden. Literatur war in der DDR regelrecht ein sogenanntes Kulturschutzgebiet - der Terminus stammt von Karl-Heinz Bohrer -, teilweise mit einem anachronistischen Charakter, der für ein Land charakteristisch ist, in dem das Buch noch das Medienmonopol ausübte. Bekanntlich gab es im Arbeiter- und Bauernstaat kaum PCs und die Fernsehsendungen waren starren politischen Anordnungen untergeordnet.
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Die Frage nach der selektiven Nützlichkeit der kulturellen Überlieferung hat jedoch auch ihre eigene Geschichte – kein Geringerer als Alexander von Humboldt hat sie sich gestellt. In Ostdeutschland ab 1945 klang sie etwa so: Wie soll ein Staat, der sich wie die DDR als ein kategoriales Novum versteht, mit der eigenen kulturellen Tradition umgehen? Gibt es mit oder neben den marxistischen Klassikern auch noch andere erkennbare kulturelle Überlieferungen und wenn ja, welche? Kurz: Das Rezept hiess 'sozialistischer Realismus', der Kanon, nachdem er 1934 auf dem I. Unionskongress der Sowjetschriftsteller als die einzig richtige Methode festgelegt worden war. Eine weitere Frage wäre: Ist aber das literarische Feld die einzige Instanz, wo die Entscheidungen über die Gültigkeit literarischer Erzeugnisse getroffen werden? Harold Bloomi würde die Frage umgehend bejahen; das Traditionsverhältnis von Marx, etwa in Der achzehnte Brumaire, “beruht aber auf der Einsicht, dass die bürgerliche Kultur weder rein zufällig, noch rein organisch und von selbst in die proletarische Kultur umschlägt, sondern dass die Arbeiterklasse die Bedingungen erst schaffen [wird]”9 - nach einer siegreichen Revolution.
Die stark von der Leninschen Ideen geprägte SED machte sich die Kulturpolitik der KPD der 30er Jahre zu eigen. Der einflussreichste Theoretiker des literarischen Erbes war mit Abstand der Ungar Georg Lukács. In seinen literaturtheorischen Arbeiten, vor allem in den Jahren zwischen 1932 und 1956, legte er die Prinzipien für die klassisch-realistische Kanonbildung nieder, die von den dogmatischen Kulturfunktionären der KPD im Exil und später der SED übernommen und befestigt wurde. (Nach dem Ungarnaufstand 1956 revidierte Lukács bekanntlich sein normatives Erbe-Verständnis und setzte sich zum ersten Mal mit den Texten avangardistischer Schriftsteller - z. B. Strindberg, Musil und Kafka - auseinander). Lukács' normative Erbe-Begriff hängt sehr eng mit seinen Vorstellungen von einem klassischen Realismus zusammen, und daher nimmt er nur diejenigen Werke in das sozialistische Erbe auf, welche die Totalität der gesellschaftlichen Beziehungen aus der Perspektive des historischen Fortschritts zu gestalten versuchen. Dem widersprechen aber Ernst Bloch und Hanns Eisler teilweise schon früh, eine Kontroverse, die für die Kulturpolitik der DDR bestimmend werden sollte. In der Ulbricht-Ära sollte sich der 'Klassikzentrismus' durchsetzen.
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Beachtenswerte Meilensteine für die DDR-Literaturtheorie sind die beiden 1959 und 1964 stattfindenden Bitterfelder Konferenzen, aber auch der 8. Parteitag der SED (1971). Zur ersten Konferenz wurden Berufsschriftsteller und schreibende Arbeiter eingeladen; die Hauptaufgabe der DDR-Literatur sollte es sein, so sah es der damalige SED-Parteichef Ulbricht, “die Trennung von Kunst und Leben, die Entfremdung zwischen Künstler und Volk, die in der bürgerlichen Gesellschaft so katastrophale Ausmasse erreicht haben”10, zu überwinden. Folglich sollten die Arbeiter unter Anleitung von Schriftstellern mehr lesen; und wiederum wäre es wünschenswert, wenn die Schrifsteller in die Betriebe gehen und dort zeitweise arbeiten würden. Nur so könnten diese wahrhaftig und realistisch die Arbeitswelt beschreiben. Eines war immer noch kristallklar: die Politik, sprich die Linie der SED, hatte Vorrang gegenüber der Literatur und ihren Produktionen. “In dieser Zeit der 60er Jahre entstand eine Art von Literatur, die nach dem Titel einer Erzählung als 'Ankunftsliteratur' bezeichnet wird. Im Zentrum dieser Texte stand meist die problemreiche, krisenhafte Eingliederung vor allem junger Menschen in die sozialistische Gesellschaft”11. Die zweite Bitterfelder Konferenz, vom April 1964, wurde vom DDR-Kultusminister zur Diskussion über den Erfolg und die Resultate der ersten Konferenz einberufen. Vor allem wurde jedoch ehrlicherweise festgestellt, dass sich die hohen Erwartungen an eine neuartige Form von Literatur, die Gesellschaft und Leben miteinander verbindet, nicht erfüllt hatten. Deshalb wurde eine neue Richtung eingeschlagen - verlangt wurde nun ein Wechsel in der Perspektive, die jetzt nicht mehr ganz die der Arbeiter war, wie vorher in A. Seghers' (1956) Die Entscheidung. Aber Seghers war schon eine Remigrantin der ersten Generation.
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Wie gesagt wurde ein Ministerium für Kultur geschaffen, dessen Leiter, der einst expressionistische Dichter Johannes R. Becher, eine stattliche Menge von optimistischen Reden zu allen möglichen festlichen Anlässen hielt. Die Stalinistischen Erben waren dennoch nach wie vor hochgradig paranoid, was unter anderem dazu führte, dass die (literarische) Kultur in einem extremen Ausmass von der Politik instrumentalisiert wurde. Die Haltung der jungen DDR-Macht Brecht gegenüber schlägt sich in folgendem Zitet von Müller nieder: “So wurden zum Beispiel Studenten […] relegiert, nur weil sie Aufführungen des Berliner Ensembles besucht hatten. Brecht war der Antichrist. Das Theater hatte er auch nur gekriegt, weil die Russen es befohlen hatten. Er war tief verdächtig”12. Und Huchel, der zwischen 1948 und 1962 Sinn und Form leitete: “Damals galt in der DDR die Parole: wer für Barlach ist, unterstützt den amerikanischen Imperialismus. Also wurde ich zu Becher zitiert, der mich beschimpfte. Sechs oder acht Jahre später war Barlach wieder geduldet, und Brechts Barlach-Aufsatz stand in allen Schulbüchern”13. Einmal konnte es Havemann oder Wolf Biermann sein, dann wieder ein Theaterstück von Peter Hacks oder Heiner Müller, oder auch Wolfgang Harich, heute ein philosophisches Buch von Bloch und morgen Kafka. Es bestanden insgesamt sechs Literatur-Kategorien, nach denen entschieden wurde, ob die jeweiligen Autoren veröffentlicht wurden. Die Partei hatte zwar das Deutungsmonopol der Kunstformen fest in der Hand, doch zugleich grub sie emsig ihr eigenes Grab mit solch grotesken Geschichten.
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Von Anfang an war es ein Prinzip der SED, keine andere Öffentlichkeit zuzulassen als die von ihr proklamierte. Folglich wurden kritische Stellungnahmen “der literarischen Intelligenz [...] gleich als höchste Gefahrenstufe für die Republik ausgerufen”14. Hermann Kant konnte zwar mit einstimmigem Beifall der offiziellen Instanzen 1964 einen Roman veröffentlichen, der sehr erfolgreich war, Die Aula, wohl um den neuen Eliten Sebstvertrauen einzuflössen. Und was war mit der direkten oder indirekten staatlichen Unterstützung der schriftstellerischen Arbeit durch die Behörden? Der achte Parteitag der SED verlautbarte, dass man eine verheissungsvolle Wende einzuleiten wünschte, und Erich Honecker teilte sogar der Zunft mit, dass es künftig kein Tabu mehr geben werde – vorausgesetzt, dass man von den 'richtigen', d. h. sozialistischen Positionen ausgehen würde. Der Chefideologe Kurt Hager sprach seinerseits von einem neuen Verhältnis der Partei zu den Künstlern. Die Opportunismus-Tür war damit sperrangelweit offen und die Korruption der intellektuellen Kaste garantiert. Die bejahenden Schriftsteller konnten dafür den gebührenden Lohn kassieren: Reisen, Stipendien und vor allem Devisen für die begehrten West-Waren. Und doch - das Subventions-System spendierte die Privilegien aber nur für die literarische Ausblendung der DDR-Realität. Die ökologische Zerstörung oder die allgemein verbreitete Bespitzelung wurden von den in der DDR publizierenden Autoren sorgfältig ausgeblendet. Kein Wunder, dass die DDR, und zwar bis zu ihrem Ende, kaum Dissidenten vorweisen konnte. Eine der wenigen, sehr würdigen Ausnahmen hiess Robert Havemann.
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Abschliesssend darf wohl die Hypothese aufgestellt werden, dass die Konstituiereung eines mehr oder verbindlichen Kanons im literarischen Feld der DDR irgendwie auf die Diskurskontrolle aus war. Es ist auch nicht gerade neu, dass diktatorische Systeme die gesellschaftliche Debatte - den Spielraum des Diskutierbaren also - auf die eine oder andere Weise zu meistern versuchen. Demnach wurde in der DDR das übrigens nie klar genug definierte Erbe zu einem sehr effizienten Mittel, abweichende Auffassungen zu ersticken, zumal sich das SED-System in den Jahren des sogenannten sozialistischen Aufbaus öffentlich und international als der legitime Vertreter der 'wahren' Demokratie profilieren wollte. G. Lukács, C. Träger und teilweise auch St. Hermlin spielten dabei eine durchaus wichtige Rolle - im Gegensatz zu den Ansichten von A. Seghers, Brecht oder E. Bloch, das muss hinzugefügt werden.
“Was du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!”15, liest man bei Goethe. Seinem Stalinistischen Ursprung gemäss war es für den DDR-Staat lebensnotwendig, die künstlerische und literarische Produktion des Landes seinen ideologischen Zielvostellungen unterzuordnen, wohlgemerkt immer mit einem hohen Willkürkoeffizienten bei der Konstituierung dieses Kanons: bekanntlich hat Georg Lukács schon vor Kriegsende bestimmte Literaturströmungen fast en bloc verurteilt, da sie in seinen Augen mit der von ihm diagnostizierten 'Zerstörung der Vernunft' in engem Zusammenhang standen, die Rede ist natürlich von der deutschen Romantik und einer bestimmten Moderne. Diesbezüglich von Interesse ist Anna Seghers Reaktion auf den Lukácschen präskriptiven Realismusbegriff und ihre Forderung von gewissen bis dahin vernachlässigten Aspekten der Romantik (Kleist gegen Goethes zum Beispiel). Zwei gelungene Resümees bei der Anwendung der Erbe-Doktrin werden uns von DDR-Bürgern angeboten. So Heiner Müller: “Anerkannt waren die Bürgerlichen, die brauchten sich nicht zu wenden, die machten Museum, und das war die offizielle Kulturpolitik. In den 70er Jahren wurden die dann abgelöst durch Parteiwissenschaftler, die diese konservative Germanistik weiterbetrieben”16. Und Rudolf Bahro, ebenfalls ein Marxist: “Die ganze Machtstruktur ist beinah theokratisch. Der Kern der politischen Macht […] lag aber in der geistigen Gewalt, mit ihrer permanenten Neigung zur Inquisition, so dass die Partei selber wahrhaft eine politische Polizei war”17. Am Ende der DDR-Geschichte diagnostizierte Raddatz bei der jüngsten Lyrikergeneration “Bitterkeit, Hoffnungslosigkeit, Snlosigkeit”18, die Dichter schienen ihm wie “aus der Gegenwart ausgestiegen”19.
Das Bild wäre damit aber nicht vollständig. In Der Turm von Babel (1991 erschienen) wandte sich Hans Mayer gegen diejenigen, die das DDR-Experiment allein von seinem peinlichen Ende her erklärten und verurteilten. “Auf allen Gebieten waren grosse Möglichkeiten, denn es gab ein grosses menschliches Potential. Vergessen Sie bitte nicht die Autoren, die die DDR geprägt haben im ersten Jahrzehnt. Dieser antifaschistische Grund gehörte zu dem Besseren des Anfangs”, so Mayer20. Dagegen schrieb aber Havemann 1975: “Das Misstrauen zwischen dem Staat und seinen Bürgern ist abgrundtief, von beiden Seiten. Und es ist begründet. Bei den sogenannten Wahlen stimmen über 99% für die Einheitsliste”21. Und Ch. Wolf, die in einigen Fällen sehr feinfühlig sein konnte, machte auf ein anderes Erbe aufmerksam, das sehr direkt mit Stalin zu tun hatte: das der Angst: “Da war eine ganze Generation, und nicht nur eine, in den Grundlagen psychischen Daseins in dieser Erde tief beschädigt. Und das ist nicht so leicht zu reparieren”22. Über eine meist passive Bevölkerung herrschte - bis zum Erwachen von Leipzig 1989 - eine Parteiclique, an deren Spitze auffallend irrealistische Ansichten standen; noch zu Beginn des Jahres 1989 erklärte Honecker öffentlich, dass es die Mauer vielleicht noch fünfzig oder hundert Jahre geben könne, wenn die politische Konstellation es immer noch nötig machte. Etwa um die Ruhe zu bewahren, die in einem 'Leserland' erforderlich ist? Mayer: “Ende schlecht, alles schlecht? Wäre dies die nüchterne Bilanz in der Geschichte einer Deutschen Demokratischen Republik?”23. Ich möchte kein endgültiges Urteil fällen, die Geschichtsphilosophie ist nämlich nicht mein Fach.
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1Mittenzwei (2001: 23).
2Mayer (1991: 148).
3Havemann (1976: 93).
4Havemann (1976: 60).
5Zitiert bei Mittenzwei (2001: 380).
6Kant (1987: 208).
7Mayer (1991: 194).
8Raddatz (1987: 98).
9Horn (2003: 39).
10Zitiert bei Eisenbeis (1997: 101).
11Eisenbeis (1997: 102).
12Müller (1992: 83).
13Huchel (1984: 374).
14Mittenzwei (2001: 241).
15Faust I, 682/3.
16Müller (1992: 122).
17Bahro (1977: 252).
18Raddatz (1987: 104).
19Raddatz (1987: 194).
20Zitiert bei Mittenzwei (2001: 493).
21Havemann (1978: 62).
22Wolf (1985: 115).
23Mayer (1991: 15).
iBloom (1995: 16).